William Wordsworth

1770 – 1850                   Großbritannien

 

 

 

In Übersetzungen von

Marie Luise Gothein

 

 

 

 

Tiroler Sonette

 

Hofer

 

Ward dieser Held von Sterblichen geboren,

Der kühn mit den Tirolern vorgedrungen?

Hat sich Tells Geist vom Tode losgerungen,

Neu zu beleben, was die Welt verloren?

 

Er tritt wie Phöbus aus des Morgens Toren,

Wenn er die trübe Finsternis bezwungen.

Als Schmuck hat, von Bescheidenheit durchdrungen,

Nur eines Reihers Feder er erkoren!

 

O Freiheit, deinem Ansturm weicht die Rotte,

Sie wenden vorn und hinten sich zur Flucht,

Das halbe Heer begräbt der Felsen Wucht;

 

denn diesem Krieger beugt, gleich einem Gotte,

Sich Strom und Fels und Berg in seine Zucht,

Dem grausamen Tyrann zum Hohn und Spotte.

 

 

 

Tritt vor, o Freiheit aus Tirolerland,

Du Bergeskind, das keine Furcht bewegt,

Der Name ward mit Recht dir beigelegt!

Du bist an Alpenhöhn, die Felsenwand,

 

An ew’gen Schnee, dem Echo gleich, gebannt,

wenn früh der Jäger es vom Schlaf erregt.

Wohin sein unsichtbarer Schritt es trägt,

Zu Klippen, Höhen und zum Waldesrand,

 

Da plaudert es von der Vergangenheit!

Auf hehre Macht, beschleun’ge deinen Fuß,

Es dringe zu den Wolken auf dein Gruß,

 

Zum grünen Tal, des Hirten Einsamkeit;

Die Alpen selber jauchzen deinem Bunde,

Hier, dort und überall zur gleichen Stunde.

 

 

 

Was ward mit all der langen Müh’ erreicht,

Wo man nach Grund und Gut und Übel spürt,

Den Willen mit abstruser Willkür führt,

Bis sich die transzendente Ruh’ ihm zeigt,

 

Wo jede Leidenschaft sich willig beugt,

Vor der Vernunft, weil ihr der Thron gebührt.

Nichts als ein Spiel ist’s, eitel und geziert,

Wenn jetzt das weise Deutschland feige weicht

 

Brutalen Waffen! O erröten müssen

Die hohen Schulen! Können wir doch sagen,

Daß wenig Hirten aus dem Alpenland

 

Mit wenig klaren Regeln besser wissen,

Das, was der Menschheit frommt in Unglückstagen,

Als aller Stolz und grübelnder Verstand.

 

 

 

Das Land, das uns vererbt von Ahngeschlecht,

Das geben wir den Kindern einst aufs neue,

Das ist uns Pflicht, ist unsre fromme Weihe,

Natur und Gott, sie nennen es gerecht.

 

Wer nicht mit Waffen dafür kämpft, heißt Knecht.

Des Kindes Auge fordert unsre Treue,

des Weibes Lächeln und des Äthers Bläue,

Und selbst ihr Väter aus den Gräbern sprecht:

 

O singt noch einmal jene alten Lieder,

Die immer köstliche Musik uns waren,

Der Wind bring uns der Herden Läuten wieder!

 

Wir ziehen fort, die opferwill’gen Scharen,

Der Freiheit soll der Speer die Gasse brechen,

Die Tugend ehren und die Menschheit rächen.

 

 

 

Bei der Unterwerfung der Tiroler

 

Nach sittlich hohem Gut habt ihr gestrebt;

Wer brächte sonst, da mächt’ge Throne wanken

Zu armen Hirten einzig den Gedanken,

Der sie zu solchem hohen Ziel belebt?

 

Nicht war’s umsonst, was euch so hoch erhebt;

Denn eurem stolzen Ruhm ist es zu danken,

Daß eine Macht uns antreibt, ohne Schwanken

Das Recht zu fordern, welche nie erbebt!

 

Schlaft, Krieger schlaft! ruht aus am Bergeshange,

Ihr konntet in der Klugheit strengem Zwange

Die unbesiegte Seele nicht verlieren! –

 

Bricht überdrüssig einst an Schuld und Leid

Europa los – dann Hirten seid bereit,

Ganz über euren Feind zu triumphieren.

 

 

 

Was ist Ehre? Die Gerechtigkeit,

Wie wir im schönsten Sinne sie uns denken,

Bestimmt, der Tücke Schlag von uns zu lenken,

Wehrt sie dem Unrecht, das wir tun, dem Leid,

 

Das uns bedroht. – Wenn wilde Grausamkeit

Versucht, ein Reich in seinem Recht zu kränken,

Das Kriegsglück flieht, sich tapfre Waffen senken,

Dann ist die Ehre Hoffnung, und sie beut

 

Ruhm und Triumph! Wohl zwingt der Schlauen List

Die Völker, vor ungerechtem Spruch zu neigen

das stolze Haupt, - doch nimmer bis zum Staube,

 

Was doch das höchste Ziel des Feindes ist.

Zwar säumt die Zagheit oft, zum Glück zu steigen,

Doch nur die Schande fällt dem Tod zum Raube.

 

 

 

1811

 

Halt an! Der Dichter fordert seinen Dank,

denn stets war Freiheit seines Liedes Streben,

Nie saht ihr vor der Hoffnung ihn erbeben,

Als schwer das Unglück auf uns niedersank;

 

Der Hoffnung, die als Pflicht, als hohen Zwang,

Der Himmel unserm kranken Herz gegeben;

O! möchten wir der Weisheit immer leben,

Daß jeder frevelt, der geblendet, bang

 

Auf des Tyrannen Glanz und Siege schaut,

Und dem vor seiner Schuld, der ja als Lohn

Nur Blut und Tränen fließen – es nicht graut;

 

Ihm ist Gerechtigkeit nur leerer Hohn!

Tu deine Schwachheit ab, auf sie nur baut

Die Tyrannei, Armseliger, ihren Thron!